Workshop

Neue Schwerpunkte in der Geschichtslehre-/Geschichtslehrerinnenausbildung

Die Universitäten Berlin, Frankfurt und Mainz werden mit den Projekten K2Teach, LEVEL und „Das Lehr-Lern-Forschungslabor – Ort zukunftsorientierter Kooperation in der Lehramtsausbildung“ im Rahmen der von Bund und Ländern gemeinsam getragenen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ gefördert. Allen drei Projekten ist gemeinsam, dass das Fach Didaktik der Geschichte an ihnen beteiligt ist und dass sie videogestützt arbeiten. Auch deshalb verspricht der Austausch zwischen den Projekten und die Diskussion der jeweiligen Ansätze und Zwischenergebnisse der Projekte in Lehre und Forschung vielfältige Anregungen. Aus diesem Grund haben sich Ende Juni 2017 die Projektleiter und -mitarbeiter aus Berlin, Frankfurt und Mainz zu einem eintägigen Workshop in Mainz getroffen.

Am Vormittag standen die Projekte in der Lehre im Mittelpunkt. Prof. Dr. Martin Lücke, Mitglied des Teilprojektes 3 „Erprobung von Handlungsstrategien in Lehr-Lern-Laboren“ von K2Teach, stellte das geschichtsdidaktische Teilprojekt vor. Um Handlungsstrategien in vereinfachten Lehr-Lernsituationen zu erproben und zu untersuchen, wurde ein Lehr-Lern-Labor-Seminar konzipiert und im Rahmen des Bachelor-Studienganges in die Lehre integriert. In diesen Lehr-Lern-Labor-Seminaren entwickeln die Studierenden theoriegeleitet Unterricht, erproben die Lernangebote mit Schülerinnen und Schülern, reflektieren den Unterricht, überarbeiten ihre Angebote und erproben sie erneut mit anderen SuS. Das Labor soll somit ein Ort sein, in dem das Unterrichtshandeln professionell wahrgenommen und die Diagnose von Lernprozessen sowie deren Reflexion in einem zyklischen Prozess ermöglicht wird. Auf diesem Weg sollen auch die Reflexionsfähigkeit und die Selbstwirksamkeitserwartungen der Studierenden nicht absinken.

Ziel des fachübergreifenden Frankfurter LEVEL-Projektes ist – neben den übergreifenden Zielen des Gesamtprojektes – die Förderung der Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler. Dabei gilt es zentrale Charakteristika von „Mündigkeit“ als Leitziel sozialwissenschaftlich-historischer Bildung zu identifizieren, zu analysieren und zu interpretieren, um daraus sowohl inhaltliche als auch didaktisch-methodische Schlüsse für das Lehrer(innen)handeln abzuleiten. Mündigkeit ist, wie es Prof. Dr. Henke-Bockschatz, Leiter des Teilprojektes Geschichte im sozialwissenschaftlich-historischen Fächerverbund des LEVEL-Projektes an der Universität Frankfurt, ausführte, im geschichtsdidaktischen Verständnis das selbstbewusste Partizipieren an der Geschichtskultur einer Gesellschaft. Das Projekt setzt hierbei an drei Punkten an, der Theorie der Mündigkeit, der Praxis der Mündigkeit (mit der Entwicklung von Konzepten und Planspielen) sowie der Entwicklung von Ausbildungsformaten, die auf der Analyse von Unterrichtsvideos fußen (Online-Lehr-Lernplattform VIGOR). Im Bereich der Lehre werden hierzu interdisziplinäre Projekttage entwickelt, an denen z. B. ein Planspiel, etwa zum Thema Dorfentwicklung, gemeinsam geplant und in den Fächern durchgeführt und videografiert wird. In einem anschließenden interdisziplinären Seminar wird das Thema „Mündigkeit“ u. a. mithilfe von Videosequenzen und deren Analyse gemeinsam erarbeitet.

Das Mainzer Projekt hat sich die Kooperation zwischen den Akteuren, der Vernetzung von Theorie und Praxis sowie die Professionalisierung der Studierenden zum Ziel gesetzt. In den – auf dieser Grundlage konzipierten – Lehr-Lern-Forschungslaboren liegen die Schwerpunkte auf der Entwicklung und Erprobung kognitiv aktivierender Aufgaben und der systematischen Reflexion zu den in den Schülerseminaren erworbenen Kompetenzen (mittels der Analyse der angefertigten Videos). Im LLF Geschichte, das von der Teilprojektleiterin Prof. Dr. Meike Hensel-Grobe vorgestellt wurde, sind das Hauptseminar Geschichtsdidaktik und eine semesterübergreifende Forschungswerkstatt in den Bildungswissenschaften verknüpft. Im Hauptseminar werden Theoriemodelle zur Entwicklung des historischen Erzählens und zum Umgang mit Geschichtskultur erarbeitet, das Schülerseminar geplant und durchgeführt und anschließend mithilfe des Videomaterials gemeinsam reflektiert. Das Schülerseminar setzt hierbei bewusst bei Themen an, die vor Ort relevant und nicht durchdidaktisiert sind. So beginnt das Schülerseminar mit einer Exkursion, die die Geschichte vor Ort bewusst macht. Es schließt sich die Erarbeitungsphase im Seminarraum an (Geschichte im Labor), deren Ziel die Präsentation und Diskussion der Ergebnisse sind. Ein Videoausschnitt aus dem Schülerseminar des Sommersemesters zum Thema „Mainzer Republik“ zeigte beispielhaft die Ergebnispräsentation einer Gruppe. So wurden Chancen und Probleme auf Seiten der Schülerinnen und Schüler und auf Seiten der Studierenden sichtbar und zugleich die Reflexions- und Auswertungsmöglichkeiten des Videomaterials.

Den Auftakt am Nachmittag, der den Projekten in der Forschung gewidmet war, machte David Seibert (K2Teach, FU Berlin), der sein Dissertationsprojekt „Geschichte lehren im Labor. Möglichkeiten und Hindernisse in Theorie, Forschung und Implementation“ präsentierte. Ausgangspunkt seiner Studie sind die vier Entwicklungsaufgaben der Professionalisierung nach Uwe Hericks: Rollenfindung, Vermittlung der Theorie des Fachs, Anerkennung (Bildung und Entwicklung der SchülerInnen, Bedeutung und Relativität der schulischen Bewertungsfunktion) und Institution. Er möchte dabei untersuchen, ob und wie die Entwicklungsaufgaben von den Studierenden durch das LLL-S bearbeitet werden und welche Rolle die Praxiserfahrung hierbei spielt. Konkret geht es um eine elementarisierte fachdidaktische Ausbildung im B.Ed., die die zweite Entwicklungsaufgabe (Vermittlung) abdeckt. Mit verschiedenen methodischen Zugriffen (Mixed Methods: explorative und Komplementärstudie, quantitative und qualitative Methode) soll untersucht werden, ob theoretische Inhalte des LLL-S als praxisrelevant wahrgenommen werden und wie die Reflexionsfähigkeit der Studierenden als Grundvoraussetzung der Professionalisierung sich verändert. Erste Auswertungen der erhobenen Daten stützen die Hypothese, dass die Studierenden die Inhalte des LLL-S (theoretisches Wissen) für ihre Unterrichtspraxis als relevant erachten und sich die Tiefe der Reflexion mit der Praxiserfahrung konstant bleibt bzw. erhöht.

Philipp McLean (LEVEL, Goethe-Universität Frankfurt) stellte sein Dissertationsprojekt „Historische Mündigkeit. (Kritische) Analyse zur Bedeutung eines fachdidaktischen Begriffs“ vor. Ausgangspunkt seiner Studie ist die Beobachtung, dass der Begriff der Mündigkeit zwar als zentrales Ziel zahlreicher Geschichtscurricula genannt werde, eine inhaltliche Klärung des Begriffes aber ausstehe. Ziel seiner Studie sind deshalb zum einen die Erklärung und Definition eines vermeintlich bekannten Begriffes, insbesondere der „historischen Mündigkeit“ und zum anderen die Operationalisierung in der Lehrerausbildung, vor allem im Kontext der professionellen Unterrichtswahrnehmung. Vorläufig bestimmte McLean den Begriff der Mündigkeit als Fähigkeit, autonom, (selbst-)reflexiv und (selbst-)bewusst an der Geschichtskultur partizipieren zu können. Mit einem kurzen Blick auf die Geschichte des Begriffs und den Wandel seiner Bedeutung betonte er die Notwendigkeit, sich die eigene Perspektive bewusst zu machen und die Hintergrundnarration derselben zu reflektieren. Ein Verfahren zur Umsetzung und somit der Konzeptualisierung der Förderung von Mündigkeit stellt nach McLean die Ideologiekritik dar. Verbunden mit der Kritik der Ideologie und der Reflektion des eigenen Standpunktes kann dann auch eine Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft (als Träger der Geschichtskultur) erfolgen.

Marie Hohmann (LLF Geschichte, JGU Mainz) stellte in ihrem Vortrag „Geschichtsbilder in der Schule. Analysemöglichkeiten von SchülerInnentexten“ das Untersuchungsdesign ihres Dissertationsprojektes „(Inter-) Nationale Geschichtsbilder im bilingualen Geschichtsunterricht in Deutschland und Frankreich“ vor. Die Untersuchungsgruppen umfasst zwei Schulklassen, die einen monolingualen Geschichtsunterricht besuchen (je eine in deutscher und eine in französischer Sprache), und zwei Klassen, die einen bilingualen Unterricht besuchen (je einen in Deutschland und einen in Frankreich). Die Daten werden mittels eines Fragebogens (Prä- und Posttest) erhoben, der sehr offene Fragen beinhaltet. Mittels einer explikativen Inhaltsanalyse werden Fremd- und Selbstbilder von deutsche und französischen Schülerinnen und Schülern untersucht.

Im Zentrum der Studie von Dr. Heidrun Ochs und Prof. Dr. Meike Hensel-Grobe (LLF Geschichte, JGU Mainz) steht ein zentraler Begriff der Geschichtswissenschaft, die Narrativität. Sie gilt als „integrale Operation …, die sämtliche Schritte historischen Denkens“ durchdringt und die narrative Kompetenz als notwenige Voraussetzung für historisches Lernen. In der Studie soll untersucht werden, welche Wirkung Planung und Durchführung eines Schülerseminars als kognitiv aktivierende Aufgabe auf die narrative Kompetenz der Studierenden hat. Die Frage wird deshalb sein, wie die Studierenden den Effekt von Vorbereitung, Durchführung und Reflexion des Schülerseminars auf ihre eigenen Konzepte des historischen Gegenstandes einschätzen und inwieweit sie selbst auf diese Weise narrative Kompetenz entwickeln können. Im Fokus stehen dabei die Geschichtskultur und die Dekonstruktion ihrer Manifestationen. Datenbasis der Untersuchung sind Produkte der Studierenden (Concept Maps) und Interviews.

Einen Schwerpunkt der Gespräche bildete die Bedeutung der Videographie, die in Analyse und Reflexion der drei Projekte mit unterschiedlichen Methoden und Zielsetzungen verknüpft wird. Ein zweiter zentraler Aspekt des Austauschs war das (allgemein-)didaktische Prinzip der „kognitiven Aktivierung“. Hierbei wurde insbesondere über die Verbindung mit dem „Historischen Denken“ diskutiert sowie die Frage verhandelt, wie Momente einer kognitiven Aktivierung in Unterrichtsvideos aus den Schülerlaboren diagnostiziert werden können. Die begriffliche Konkretisierung und die unterrichtsrelevanten und -diagnostischen Überlegungen zu einem sonst eher vagen Ziel der „Mündigkeit“ wurden von allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen als äußerst anregend aufgegriffen und intensiv diskutiert. Zudem bot der Workshop-Charakter der Veranstaltung die Gelegenheit, sich intensiv mit den empirischen Designs der jeweiligen Studien auseinanderzusetzen.

In den Diskussionen wurde deutlich, wie breit in den Projekten die Fachdisziplin in den Blick genommen wird und wie gerade kleine, konzentrierte Arbeitstagungen dazu beitragen, die großen Chancen intensiv zu nutzen, die für die Geschichtsdidaktik mit den Projekten der Qualitätsoffensive eröffnet werden. Gerade die Kooperationen und Vernetzungen bieten – sei es in Doktorandenkolloquien, in der Kopplung von Lehrveranstaltungen mit anderen Fächern und in den gemeinsamen inhaltlichen Diskussionen – unterschiedliche und doch sehr vielversprechende Entwicklungsperspektiven, die auch einmal in einem fachspezifischen Kontext beleuchtet werden sollten.