15.9.2015 – Fahrt durch Nordsiebenbürgen und die Klöster der Südbukowina (Moldoviţa und Voroneţ)

Karnevalsmusik tönt aus dem kleinen Bus, der an dem Rand der Straße geparkt ist, in dem sich unsere Herberge befand. Diesen Dienstag, den 15. September 2015 fahren wir um 8:15 Uhr mit unserem Bus von Cluj-Napoca (deutsch Klausenburg, ungarisch Kolozsvár) ab. Die Stimmung ist ausgelassen, diese Aufmerksamkeit, die unser Fahrer sich ausgedacht hat, hilft auf jeden Fall die Fahrt gut zu überstehen. Die erste Ortschaft, die unsere Gruppe durchquert, ist Apahida (deutsch Bruckendorf, ungarisch ebenfalls Apahida) und wir lernen, dass dort bedeutende Funde aus der Völkerwanderungszeit gemacht wurden. Weiter nördlich gelegen ist die Gemeinde Jucu (ungarisch Zsuk), in der im Sommer 2007 eine Produktionsstätte von Nokia aufgebaut und 2011 wieder geschlossen wurde. Diese kontinuierliche Verlagerung von Arbeitsplätzen und ihre Auswirkungen sorgte für regen Diskussionsstoff.
Die nächsten Orte, die wir durchqueren, sind Bonțida (deutsch Bonisbruck, ungarisch Bonchida), von wo die politisch mächtige Familie Banffy stammt, deren „Schloss“ sich in diesem Ort befindet und Gherla (deutsch Neuschloss oder Armenierstadt, ungarisch Szamosújvár, armenisch Hayakaghak ), in dessen Festung im Norden während der kommunistischen Zeit politische Gefangene inhaftiert wurden.
Dej (deutsch Burglos bzw. Deesch, ungarisch Dés) war ein ehemaliges Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen. 1944 siedelten viele Sachsen, der Wehrmacht folgend, um. Von der Roten Armee wurden einige allerdings wieder zur Rückkehr gezwungen. Siebenbürgen ist – ebenso wie die Bukowina – auch geprägt von der jüdischen Minderheit, welche sich aufgrund von Pogromen in z.B. Russland oder auch Galizien dort ansiedelten. Der Zweite Wiener Schiedsspruch von 1940 sprach Teile Siebenbürgens Ungarn zu. Die jüdische Bevölkerung wurde entweder in die Konzentrationslager verschleppt oder migrierte in andere Gebiete.
Nun kommen wir in Bistrița (deutsch Bistritz, ungarisch Beszterce) an und machen eine kleine Pause. Die Stadt, welche erstmals 1241 urkundlich erwähnt wurde, befand sich in ihrer Geschichte oft zwischen den Fronten der moldauischen und siebenbürgischen Fürsten. Dennoch bekam die Stadt häufig Sonderrechte und hatte eine überregionale Bedeutung.
Um einen besseren Überblick zu bekommen steigen wir auf den 75m hohen Turm der evangelischen Stadtpfarrkirche, welcher nach einem Feuer im Jahr 2008 neu aufgebaut werden musste. Man erkennt gut den starken barocken Einfluss auf die Gebäude und die Stadtstruktur, welcher aufgrund zahlreicher Feuersbrünste im Mittelalter zustande kam.

Nun fahren wir weiter über die Ostkarpaten, dessen Berge zwischen 1800-1900m hoch sind und dessen eher bewaldetes als alpines Aussehen Bram Stokers „Karpaten-Klischee“ extrem kontrastiert. Wir kommen zwar an einem großen Metallkreuz vorbei, das aufgrund des Romans aufgestellt worden ist, aber es wirkt deplatziert in der malerischen Landschaft. Da es inzwischen Mittag geworden ist, machen wir auf dem Tihuţa-Pass (Borgo-Pass) ein Picknick und genießen den wunderschönen Ausblick.

Ein paar Landschafts- und Gruppenbilder später befinden wir uns wieder auf dem Weg. Wir fahren vorbei an den typischen Häusern der Bukowina und die Stunden vergehen wie im Flug.
Nicht weit von Suceava besuchen wir zwei Klöster, die es so nur in Rumänien geben kann. Voroneţ, das Stefan der Große 1488 erbauen ließ, und Moldoviţa, welches 1532 von dem unehelichen Sohn Stefan des Großen Petru Rareș gestiftet wurde, sind beide berühmt für ihre Innen- und vor allem Außenfresken. Diese Malereien, die in Moldovița 1537 und in Voroneț 1547 hinzugefügt wurden, zeigen vor allem Heiligenbilder, z.B. die Wurzel Jesse (ein Stammbaum Christi) und das Jüngste Gericht, aber auch zeitgeschichtliche Ereignisse wie die Belagerung Konstantinopels an der Südfassade von Moldovița, welches die eigene Geschichte widerzuspiegeln scheint. Eingeengt durch die Osmanen und immer von der Annektion bedroht: Diese Mentalität spiegelt sich auch in den Fassaden wider. Orientalen in ihren konkreten Trachten, Juden und andere Feinde ihrer Unabhängigkeit und ihres Glaubens stehen auf der Seite der Verdammten des Jüngsten Gerichts.

Die Fresken gemeinsam zu entschlüsseln und mit der Geschichte der Moldau zu verbinden war eine sehr interessante Erfahrung. Gesättigt mit Informationen und neuen Einsichten in die rumänische Kultur kommen wir in unsere Herberge in Gura Humorului und freuen uns auf die nächsten Eindrücke.

Anna-Lena Brunecker