Am siebenten Tag unserer Rumänienexkursion machten wir uns gegen 8:25 (mit nur 10-minütiger Verspätung) auf den Weg, um von Jassy/Iaşi zum südlichsten Punkt (Wolkendorf/Vulcan) unserer Exkursion zu gelangen. Hierzu fuhren wir zunächst Richtung Westen. Auf dieser Ost-West-Richtung streiften wir die Kleinstadt Siret und kamen in den Kreis Neamţ.
Piatra-Neamţ (was wörtlich übersetzt ungefähr so viel wie Deutschstein bedeutet) und die Kleinstadt Târgu Neamţ (Deutschmarkt) zeugen von der großen Auswanderung aus Siebenbürgen im westlich gedachten Mittelalter in dieses Gebiet. Diese Einwanderung wurde vor allem durch Steuervergünstigungen ausgelöst, die in der osmanischen Zeit wieder aufgehoben wurden. Heute findet man fast keine Deutschen mehr in diesem Gebiet.
Neamţ stellte außerdem eines der Kerngebiete der Herrschaft Stefans des Großen dar. Dies bezeugen sowohl die große Burg in Târgu Neamţ, als auch die unzähligen Klöster, die Stefan der Große nach jeder Schlacht errichten ließ. Die zahlreichen braungefärbten Schilder wiesen den Weg zu den erbauten Klöstern. Sie standen für die Schlachten Stefans gegen das Osmanische Reich im Süden, gegen die Tartaren im Osten, gegen die Ungarn im Westen sowie gegen die Polen im Norden. Letztendlich musste sich Stefan allerdings doch der Übermacht des Osmanischen Reich beugen. Die Moldau (Stefans Herrschaftsgebiet) konnte zwar offiziell die Autonomie nach innen bewahren, allerdings hatte der Sultan auch innenpolitisch einen großen Einfluss. Einige Historiker behaupten, dass hier der Beginn der Korruption in Rumänien anzusetzen ist.
Eines dieser Klöster schauten wir uns genauer an. Das Kloster Neamţ ähnelte vor allem wegen der Dächer, neueren, russischen Klöstern. Im Museum des Klosters wurden angeblich das Schwert und die Krone Stefans ausgestellt. Allerdings erinnerten uns die beiden Herrschaftssymbole eher an Karneval, sodass uns bewusst wurde, wie wichtig eine ordentliche Kennzeichnung von Quellen ist. Ebenso wurde uns deutlich, welch große Verantwortung der Geschichtsunterricht hat, der SchülerInnen für solche „falschen“ Darstellungen sensibilisieren muss.
Nach diesem „Schock“ fuhren wir weiter in Richtung des Izvorul Muntelui-Stausees. Während des Picknicks am Stausee konnten wir den fantastischen Ausblick genießen und wurden auf die mehreren „Naturwunder“ eingestimmt. Es ist also keine Überraschung, dass diese Region als eines der beliebtesten Wochenendausflugsgebiete in Rumänien gilt.
Danach kamen wir zum Roten See (Lacul Roşu), der auch Mördersee genannt wurde. Dieser ist nach einem Erdrutsch entstanden und daher ragten viele spitze Baumstämme aus der Wasseroberfläche. Wir konnten uns die Bezeichnung Mördersee daher sehr gut vorstellen.
Im Anschluss daran fuhren wir an den Überresten einer Zementfabrik aus kommunistischer Zeit vorbei. Diese bezeichnete Herr Maner als eine der größten Umweltverschmutzungen in Rumänien. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir noch nicht vorstellen, warum er ein solch starkes Urteil fällte, da eine industrielle Entwicklung immer eine Umweltverschmutzung darstellt, die man differenziert betrachten musste. Erst als ich das Gebiet sah, in welches diese Zementfabrik hineingebaut wurde, konnte ich das Urteil verstehen. Die Bicaz-Klamm stellt eines der schönsten Naturphänomene dar, die ich in meinem Leben je gesehen habe. Daher können Worte dies nicht angemessen beschreiben. Hier benötigt es Videos oder Bilder.
Nach diesen Naturphänomenen konnten wir uns auch ein Bild von der multikulturellen und multikonfessionellen Gesellschaft Rumäniens machen. Wir hatten das Glück in Siebenbürgen einen Szeklerzug in traditionellen Trachten zu sehen. Dieser spiegelt die Bevölkerungsstruktur in dieser Region wider, da hier hauptsächlich Ungarn leben. Sowohl diese ungarischen als auch die (ehemaligen) deutschen Kerngebieten zeigen anschaulich, wie stark der Einfluss der Kommunisten auf die Städte und ihr Erscheinungsbild war. In den hauptsächlich von Deutschen besiedelten Gebieten stehen immer mehr Gebäude oder Denkmäler leer und zerfallen langsam (auch in den nächsten Tagebucheinträgen nachzulesen). Ein Beispiel für diesen Zerfall der (deutschen) Kultur, welches eines der größten zukünftigen Probleme der deutschen, aber auch der gesamtrumänischen Bevölkerung darstellt, ist die Schule in unserem Übernachtungsort Wolkendorf (Vulcan). Zu dieser Zeit konnte man die nachdenkliche Stimmung im Bus förmlich fühlen. Einen Lösungsansatz konnte allerdings niemand finden, sodass wir umso neugieriger wurden auf die Gespräche mit den in Rumänien gebliebenen Siebenbürger Sachsen in den folgenden Tagen (vgl. folgende Tagebucheinträge).
Zum Abschluss des Tages sahen wir nochmals wie stark der Einschnitt des Zerfalls des kommunistischen Regimes war. Das erste Beispiel stellte der ehemalige wichtige Blumenproduzent, der Glashausbetrieb in Zeiden (Codlea), dar. Von diesem Unternehmen ist nichts mehr zu sehen. Solche Entwicklungen prägen den Begriff des Raubkapitalismus. Das zweite Beispiel ist das Chemiewerk Colorom ebenfalls in Zeiden, das durch seine hergestellten Farben eine große Umweltverschmutzung darstellte. Es verschwand ebenfalls. Den letzten Eindruck des Tages bildeten die typisch siebenbürgisch-sächsischen Häuser in Wolkendorf mit dem nicht einsehbaren Torbogen, der auch unsere Unterkunft kennzeichnete.
David Selzer