Nachdem wir auf unserem Weg nach Wolkendorf bereits von der Ferne einen Blick auf Kronstadt erhaschen konnten, stand am 21. September ausschließlich die Besichtigung Braşovs, so der rumänische Name, auf der Tagesordnung. Zunächst zeigte sich das Wetter weniger zuverlässig als in den letzten Tagen. Vom schönen rumänischen Spätsommer, der unsere Reise bisher begleitete, war nichts zu sehen. Stattdessen erlebten wir einen eher typischen, trüben Morgen in Kronstadt, der der geographischen Lage geschuldet ist. Ein bisschen traurig waren wir schon, wollten wir doch einen klaren Blick vom weißen Turm auf die Stadt haben, um uns der besonderen geographischen Lage Kronstadts bewusst zu werden.
Das erste, das wir dann von der Stadt sahen, war eine Mauer. Was zunächst nicht besonders eindrucksvoll erscheint, birgt jedoch eine enorme Bedeutung für die Stadt. Das Betreten der inneren Stadt und insbesondere das Wohnen waren zunächst nur den Siebenbürger Sachsen vorbehalten. Dies trennte darüber hinaus die Einwohner mit und ohne Bürgerrecht voneinander. Diese ethnische Trennung zeichnet sich heute noch im Stadtbild Kronstadts ab. Auf unserem Weg entlang der Stadtmauer sahen wir Schülerinnen und Schüler eines immer noch rein ungarischen Gymnasiums, daraufhin Schulkinder des angesehenen rumänischen Andrei Şaguna Gymnasiums, bevor wir plötzlich auf dem Schulhof des deutschen Johannes Honterus Gymnasiums standen. Doch war diese Schule nicht unser erstes Ziel, sondern die den Schulhof begrenzende Kirche, die in Kronstadt alles andere überragt. Biserica Neagră, zu Deutsch „Schwarze Kirche“ heißt sie, obwohl sie nicht besonders schwarz aussieht. Der Name stammt von der ehemals rauchgeschwärzten Fassade der Kirche, von der man jedoch nach mehrmaligen Renovierungsarbeiten nichts mehr sieht. Dieser Name also zeugt wie so manches an der Kirche von der ständigen Bedrohung der Stadt in der Vergangenheit. Die Asymmetrie der Kirche durch das Fehlen des zweiten Turms ist auf einen verkürzten Bauplan der Kirche aufgrund von Tatareneinfällen zurückzuführen. Der bereits erwähnte Name steht für den großen Brand, den österreichische Truppen um 1689 verursacht haben sollen.
Eine Führung erhielten wir daraufhin von Herrn Ziegler, einem gebürtigen Mediascher Kunsthistoriker. Zunächst machte er uns auf die Konkurrenz zwischen Hermannstadt und Kronstadt aufmerksam. Kronstadt sieht er als die religionsgeschichtlich bedeutendere Stadt an. Die Schwarze Kirche ist das bedeutendste östlichste gotische Sakralgebäude, bei dem sich der Baustil des Chorraums an der gotischen Kirche in Nürnberg orientiert. Dies gilt als Statement dafür, dass sich diese Stadt als westliche Stadt sieht und sich auch dorthin orientiert. Die Rolle Kronstadts als Handelsstadt wurde ebenfalls schnell deutlich. So befinden sich im Langhaus unzählige, wertvolle osmanische Teppiche, die die reichen Handelsleute und Zünfte der Kirche gespendet haben.
Auf unsere Führung folgte ein Gespräch mit dem Stadtpfarrer, der uns davon berichtet, dass es gerade einmal noch 970 Gemeindemitglieder gibt. Von diesen sind höchstens 200 Personen wirklich aktive Mitglieder der Gemeinde. Das Ziel der Stadtkirche sieht er darum in der Jugendarbeit. In den zugehörigen Bildungseinrichtungen besuchen daher auch beispielsweise rumänische orthodoxe Kinder den deutschsprachigen Unterricht und sogar den evangelischen Religionsunterricht. In diesem Gespräch konnte man den Eindruck gewinnen, dass nicht unbedingt die Kirche, sondern der Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Traditionen und insbesondere der Erhalt der deutschen Sprache das primäre Ziel der Gemeinde ist. Die Angst vor dem sogenannten „Untergang“ der Traditionen spielt gerade in dieser historisch bedeutenden Stadt eine wichtige Rolle.
Im Anschluss besuchten wir das Archiv der Honterusgemeinde. Ein bisschen chaotisch sah es dort schon aus, doch zeigte dies auch, dass eine enorme Anzahl besonders deutscher Quellen über die Geschichte der Stadt und des Burzenlandes zur Verfügung stehen und aufgearbeitet werden müssen. Darunter sind alte Tagebuchaufzeichnungen und auch Quellen über die Deportationen nach Russland nach dem zweiten Weltkrieg. Bei der darauf folgenden Stadtführung erhielten wir einen Abriss über die Stadtgeschichte. Exemplarisch dafür sollen die unterschiedlichen architektonischen Einflüsse aus deutscher, ungarischer und rumänischer Zeit genannt werden, die die Stadt prägen. Besonders beeindruckend jedoch war das Katharinentor, das zur rumänischen Oberen Vorstadt führt, einem der ersten kulturellen Zentren der Rumänien. Darüber hinaus konnten wir eine Synagoge besuchen, die einen weiteren kulturellen Einfluss auf die Stadt verdeutlicht.
Aber starteten wir unsere Tagesreise nicht mit einem weiteren Ziel? Das Wetter hatte uns tatsächlich einmal mehr nicht enttäuscht. Bei weit über 30°C und klarem Himmel stiegen einige von uns auf den Weißen Turm, von dem es heißt, dass man den „Kessel“ Kronstadt inmitten der Karpaten genießen kann, und so war es. Ein anstrengender, aber toller Tag endete mit einem Blick auf die bekannte Kronstädter Zinne, in der in Hollywood Manier der rumänische Name der Stadt „Braşov“ zu lesen ist.
Alexander Ring